Shitstorms – Fluch oder Segen?

Der Social Media Post von Bitburger anlässlich des „Dry January“ erhitzt derzeit die Gemüter im Netz. Zu sehen ist eine schwangere Frau, die Bier trinkt. Erst auf den zweiten Blick ist zu erkennen, dass es sich um alkoholfreies Bier handelt. Begleitet wird das Motiv von dem Slogan: „Getestet von Müttern. Gebraut für euch alle.“ Die Werbekampagne löst teils heftige Reaktionen aus. Trotzdem zieht Bitburger den Post nicht zurück. Wie die Lebensmittelzeitung mitteilt, möchte das Unternehmen die vielen Kommentare durch das Löschen des Posts nicht unterdrücken.

Dieses Beispiel zeigt: In Zeiten des Internets können Konsumenten und User ihre Meinung schneller unverblümt und vor allem anonym äußern. Doch wie viel Macht kommt ihnen dabei zu? Schaden Shitstorms einer Marke wirklich immer oder sind sie viel mehr ein Mittel zum Zweck? Im Gespräch mit Yannick Urbitsch, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Marketing und Business Development der Universität Hohenheim, geht display dieser und anderen Fragen nach.

display: Wie wirkt sich ein Shitstorm auf das Markenimage und die Markenbekanntheit aus?

Yannick Urbitsch: Zunächst muss man zwischen der Bekanntheit einer Marke und dessen Image differenzieren. Die Markenbekanntheit bildet zwar die Voraussetzung dafür, dass Verbraucher überhaupt Wissen über die Marke aufbauen können – die Attraktivität einer Marke beruht jedoch auf dem Markenwissen.

"Shitstorms haben durchaus das Potenzial, die Bekanntheit einer Marke zu erhöhen. Wenn Verbraucher jedoch negativ wahrgenommene Inhalte der Shitstorms mit einer bestimmten Marke assoziieren, kann das Markenimage erheblich darunter leiden."

Yannick Urbitsch, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Marketing und Business Development, Universität Hohenheim.

Foto: Universität Hohenheim

Jetzt haben Shitstorms natürlich durchaus das Potenzial, die Bekanntheit einer Marke zu erhöhen. Wenn Verbraucher jedoch negativ wahrgenommene Inhalte der Shitstorms mit einer bestimmten Marke assoziieren, kann das Markenimage erheblich darunter leiden. Beispielsweise beeinflusst das neben der direkten Wahrnehmung, auch die Einstellung und Präferenz der Konsumenten gegenüber der Marke. Mittelbar kann sich das auch auf ökonomische Zielgrößen wie den Kauf oder die Markentreue auswirken.

display: Werbemotive und -inhalte sind provokant und erregen Aufmerksamkeit. Welche Strategie steckt dahinter?

Yannick Urbitsch: Derartige, unkonventionelle Marketing-Kampagnen bieten natürlich das Potenzial, kurzfristig eine erhöhte Aktivierung beziehungsweise Aufmerksamkeit potenzieller Kunden zu erzeugen, womit eine nachhaltige Werbewirkung ermöglicht wird. Somit steckt hierhinter der strategische Gedanke, zum einen natürlich den Bekanntheitsgrad der Marke zu erhöhen, zum anderen jedoch auch, Botschaften in den Köpfen der Verbraucher zu verankern. So wird Bitburger mit der Kampagne vordergründig darauf abzielen, dass die eigene Marke in Zukunft stärker mit alkoholfreien Angeboten assoziiert wird. Wenn es für Verbraucher dann um die Frage geht, welche Marken für den Kauf von alkoholfreiem Bier in Frage kommen – wird ihnen bestenfalls Bitburger einfallen.

Provokant, aber wirksam. Bitburger erregt Aufmerksamkeit mit seiner aktuellen Kampagne. Foto: www.facebook.com/Bitburger; Screenshot display

display: Nun zum aktuellen Beispiel der Dry-January-Kampagne von Bitburger: Wie schätzen Sie den Fall ein? Welche Folgen hat Bitburger zu befürchten bzw. wird sich die Kampagne sogar positiv auswirken?

Yannick Urbitsch: Sicherlich bedient sich Bitburger hier der sogenannten „kognitiven Dissonanz“. Hinter der Kampagne wird also vermutlich Kalkül stecken. Auf den ersten Blick löst der Konsum von Bier in Verbindung mit einer Schwangerschaft einen Widerspruch bei Verbrauchern aus, wodurch diese sich automatisch intensiver mit den Inhalten der Werbebotschaft auseinandersetzen. Dabei könnte es auch zu einer emotionalen Reaktion bei Verbrauchern kommen, was den Aktivierungsgrad weiter erhöht.

 

Bei genauerem Hinsehen wird jedoch klar, dass es sich um alkoholfreies Bier handelt. So wird der vermeintliche Widerspruch relativiert. Was die Wirkung der Kampagne betrifft, bewegt sich Bitburger natürlich auf dünnem Eis. Kurzfristig bleibt natürlich die teils berechtigte, moralische Kritik. Zwei Ziele hat Bitburger jedoch bereits erreicht: Erstens, dass wir über die Marke diskutieren und zweitens, dass wir nun auf jeden Fall auch wissen, dass Bitburger alkoholfreies Bier anbietet. Die mittel- bis langfristigen psychographischen und ökonomischen Auswirkungen der Kampagne auf die Marke Bitburger gilt es abzuwarten. Für das Unternehmen ist es sicher ratsam, erst einmal die Füße still zu halten.

display: Shitstorms sind ein Phänomen des Internetzeitalters. Die Modemarke Benetton steht beispielsweise immer wieder in der Kritik. Zwar haben Marken schon in Zeiten vor Social Media für Empörung gesorgt, dennoch hat das Internet die Dynamik verändert. Was ist typisch für einen Shitstorm heute?

Yannick Urbitsch: Shitstorms zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass Inhalte innerhalb kürzester Zeit viral gehen. Sie sind durch eine große Anzahl von negativen Beiträgen oder Kommentaren, die sich schnell verbreiten, gekennzeichnet. Dadurch geraten die entsprechenden Themen, Personen oder Organisationen ins Kreuzfeuer der gesellschaftlichen Kritik. Soziale Medien sind natürlich ein Katalysator für Shitstorms geworden. Jeder der möchte, kann sich teils sogar anonym zu Wort melden, ohne entsprechende Konsequenzen befürchten zu müssen. Dadurch hat das eine ganz andere Dynamik bekommen als das früher in einer Welt ohne Internet, der Fall war. Um dem ganzen im Internetzeitalter etwas vermeintlich „Positives“ abzugewinnen: Die Shitstorms sind meist wieder genauso schnell vorbei, wie sie auch gekommen sind.

display: Vielen Dank für das Gespräch!