Am POS werden Marken lebendig: Hier sorgen Transparenz und Authentizität für Nähe und schaffen wichtige Kontaktpunkte zwischen Marke und Shopper. So viel zur Theorie. Doch wie sieht eine begeisternde Brand Experience in der Praxis aus?

In der heutigen Welt des Marketings und der Kommunikation ist der Begriff Brand Experience zu einem zentralen Aspekt geworden, denn Marken stehen zunehmend unter Druck, aus der Vielfalt an Angeboten hervorzustechen. Shopper verlangen Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Doch wie gelingt es, eine Marke am POS erfahrbar zu machen? Im Gespräch mit display berichtet Matthias Wirges, Inhaber der Werbeagentur brand on fire, darüber, welchen Stellenwert Brand Experience am POS einnimmt und wie Authentizität zum Erfolg einer Marke beiträgt.

display: Was genau versteht man unter Brand Experience und woraus setzt sie sich zusammen?

Matthias Wirges: Wir verstehen unter Brand Experience die Summe aller Kontaktpunkte und Erfahrungen der Menschen mit einer Marke. Sind Marke und Unternehmen eins, dann ist theoretisch auch ein Vorstellungsgespräch oder die Einkaufsverhandlung eines Lieferanten mit dem Procurement ein Markenerlebnis. Auch wenn es wünschenswert wäre, dass alle Unternehmen alle Kontaktpunkte als Teil des Erlebnisraumes Marke definieren würden, nehmen wir es so wahr, dass im Kontext der Brand Experience primär über die vom Marketing gesteuerten B2C-Maßnahmen nachgedacht wird: Etwa alle Bereiche der Werbung und Kommunikation, Messen, Events oder PR.

display: Worauf nimmt Brand Experience Einfluss?

Matthias Wirges: Prinzipiell nimmt die Brand Experience Einfluss auf alles. Auch die komplette Belegschaft sollte jeden Tag die Marke erfahren und die so aufgenommene Kultur weitertragen in alle Maßnahmen: Von der Pforte über die Service-Hotline bis zur Moderation auf Social Media. Entscheidend ist aus unserer Sicht erst einmal die Entwicklung einer starken Markenidentität und diese bildet dann die solide Grundlage dafür, eine mehrwertige Markenerfahrung konsistent über alle Touchpoints hinweg zu gestalten, einzubinden, zu pflegen und weiterzuentwickeln. Je besser dies gelingt, je weniger Brüche es also in der Kette gibt, desto besser ist es für alle Erfolgsparameter der Marke.

Brand Experience zum Anfassen: Bahlsen sorgt mit dem überdimensionalen Leibniz-Keks für Sichtbarkeit am POS. Foto: Bahlsen

display: Wie kann die emotional aufgeladene Beziehung zwischen Shopper und Marke durch Brand Experience gestärkt werden?

Matthias Wirges: Jedes Markenerlebnis ist die beste Gelegenheit, die Marke im Bewusstsein der Menschen mit positiven Emotionen und Assoziationen zu verbinden. Aus unserer Sicht werden die Menschen reale, analoge Markenerlebnisse besonders zu schätzen wissen, je digitaler und virtueller die Welt wird. Die Marken, die zum Beispiel im Handel in emotionale Dauerzweitplatzierungen, Gondelkopflösungen oder Shop-in-Shop-Lösungen investieren, werden stark profitieren. Investments in hochwertiges Marketing am POS sind in den letzten zehn Jahren eher zurückgefahren worden, werden jedoch in einer Omnichannel-Welt mit wachsendem E-Commerce-Anteil immer relevanter. Je mehr die Menschen mit Showrooming-Konzepten in Berührung kommen werden, desto mehr wollen sie auch bei ihrem Einkauf im LEH, im Baumarkt, in der Apotheke oder im Drogeriemarkt unterhalten, informiert, beraten und emotional berührt werden.

display: Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang multisensorische Erlebnisse bei der Schaffung einer effektiven Brand Experience?

Matthias Wirges: Multisensorische Erlebnisse bieten dann viel Potenzial, wenn sie authentisch einen Mehrwert in der jeweiligen Situation bieten. Wenn man vor dem Kauf das neue Schlauchboot im Outlet Probe fahren oder die neuen Wanderschuhe auf unterschiedlichen Untergründen probetragen kann, dann ist das ein tatsächlicher Benefit für die Menschen in dem Moment. Es erleichtert ihnen die richtige Wahl. Wenn dies jedoch primär der Show dient, dann kann der Schuss auch schnell nach hinten losgehen und die Marke den Eindruck erwecken, mit heißer Luft punkten zu wollen. Außerdem stellt sich für Marken auch immer die Frage, wie das jeweilige Markenerlebnis dauerhaft gepflegt werden kann: Auch am 100. Tag und nach der Benutzung durch Tausende von Menschen sollte der originäre Eindruck so gut sein wie am Tag der Installation. Das ist in der Praxis oft ein Problem.

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„Marken müssen dem Menschen erlebbar machen, was sie auszeichnet, welchen Nutzen und im Idealfall auch welche Überlegenheit sie auszeichnet.“

Matthias Wirges, Inhaber brand on fire

Foto: brand on fire

display: Und welche Rolle spielt Social Media?

Matthias Wirges: Social Media bringt im Vergleich zum POS oder einem Event die große Stärke der bidirektionalen Kommunikation mit. Aus unserer Sicht ist es ideal die Kanäle möglichst umfassend miteinander zu verbinden und das Markenerlebnis disziplin- und abteilungsübergreifend zu orchestrieren. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass vielfach noch eher siloartig gearbeitet wird und dann zum Beispiel die Potenziale einer im Handel laufenden Promotion nicht in die Social-Media-Kanäle der Marke gehoben werden.

display: Was sind die Kernkomponenten einer erfolgreichen Brand-Experience-Strategie?

Matthias Wirges: Je nach Kategorie und Marke ergibt sich der Bedarf nach einer abweichenden Strategie. Um der Marke den bestmöglichen Dienst zu erweisen, sollte zunächst einmal in Marktforschung investiert werden. Um so die Touchpoints zu verstehen und am Ende auch die Shopper Journey ableiten zu können. Für einen effektiven Einsatz des Budgets sind Insights unerlässlich. Was nützen die schönsten Brand Experience-Maßnahmen, wenn sie nicht auf die Bedürfnisse der Menschen in dem jeweiligen Kanal und auch in dem jeweiligen Moment zugeschnitten sind? Neben der Erforschung der Grundlagen empfinden wir das Setzen der richtigen Schwerpunkte und die Nachhaltigkeit der jeweiligen Maßnahme als elementar. Da die Budgets es nicht hergeben, alles gleichermaßen zu erfüllen, sollte man in der Bespielung der Touchpoints klar definierten Prioritäten folgen und diese dann auch dauerhaft im Fokus behalten. Es braucht viele Marken-Kontakte, bis die Menschen etwas zu einem Markenbild addieren und verankern. Insofern sind Durchhaltevermögen und der Mut zur Wiederholung in dem Kontext wichtige Qualitäten – auch wenn beide Begriffe in den Ohren vieler Marketeers nicht besonders aufregend klingen.

display: Wie kann Brand Experience an den POS gebracht werden?

Matthias Wirges: Die Möglichkeiten sind je nach Handelskanal sehr unterschiedlich. Dank der „Clean Store Policy“, die sich in den letzten zehn bis 15 Jahren bei den großen Händlern durchgesetzt hat, haben es Marken im LEH oder Drogeriemarkt deutlich schwerer, Brand Experience zu erzeugen. Trotzdem finden sich viele gelungene Beispiele in der Praxis: Leibniz sorgt gerade für Furore mit einem riesigen, aufblasbaren Butterkeks, der mit Displays kombiniert einen massiven Impact auf der Zweitplatzierungsfläche erzeugt. Eigentlich widerspricht das Inflatable allen gängigen Regeln des Handels, da es die Durchsicht im Markt blockiert und höher ist als Regale und Kundenleitsysteme. Trotzdem funktioniert die Maßnahme sehr gut und auch die Händler nehmen die Platzierung begeistert auf. Aber auch an der Erstplatzierung lässt sich genauso eine Markenerfahrung anbringen: Deinzer hat zum Beispiel für einen Nassrasierer mit besonders beweglichem Kopf ein Kurbeltool realisiert, mit dessen Hilfe die Shopper den USP des Produktes direkt am Regal erleben konnten. Und natürlich sind auch personalgestützte Promotions ein gutes Mittel, um die Marke erlebbar zu machen. So bieten etwa die Eucerin Hautberatungen eine sehr wertige Plattform für einen ausgiebigen Markenkontakt, der nicht werblich, sondern mehrwertig wirkt. Die Schlüssel am POS sind Authentizität und Mehrwert: Wenn bei den Shoppern das Gefühl entsteht, dass sie aufgehalten werden und für sie kein persönlicher Nutzen greifbar ist, dann ignorieren sie die brand experience im besten Fall – oder sind im schlechtesten Fall verärgert.

display: Wieso gewinnt Ihrer Meinung nach Brand Experience immer mehr an Bedeutung?

Matthias Wirges: In vielen Bereichen kommen Marken immer mehr unter Druck. Die Inflationskrise haben viele Händler zum Anlass genommen, um Regalplatz für Marken zu reduzieren und den Raum für Handelsmarken massiv auszuweiten. Wie der Handelsmarkenmonitor der Lebensmittelzeitung und dem Marktforschungsinstitut Ipsos zeigt, haben 2022 bereits 67 Prozent der Deutschen Marken und Handelsmarken als gleichwertig eingestuft und 96 Prozent der Deutschen Handelsmarken gekauft. Das sind alarmierende Werte für Markenartikler und jeder Testsieg eines Handelsmarkenproduktes nährt die Zweifel der Shopper und Konsumentinnen am realen Mehrwert der Markenprodukte. In diesem Kontext sind Marken gefordert, einen Unterschied zu machen, der über Werbepräsenz hinaus geht: Sie müssen dem Menschen erlebbar machen, was sie auszeichnet, welchen Nutzen – und im Idealfall auch – welche Überlegenheit sie auszeichnet. Da ist Brand Experience die logische Antwort. Und um die Problematik mit den Handelsmarken noch ein bisschen zuzuspitzen: Wenn die wenigen starken Händler zukünftig auch noch das Produktangebot mit ihren Handelsmarken dominieren und Marken nur noch eine untergeordnete Rolle spielen, dann führt das zu einer Markt- und Machtkonzentration, die keine positiven Folgen haben kann. Starke Marken garantieren Vielfalt und Fortschritt, aber sie müssen natürlich auch ihre Hausaufgaben machen und den Menschen täglich unter Beweis stellen, dass sie den Mehrpreis zur benachbarten Handelsmarke wert sind.

display: Vielen Dank für das Gespräch!